Das Kreuz mit dem chronischen Schmerz

Bad Aibling – Es ist ein Rätsel für Mediziner und eine Qual für die Betroffenen: Chronischer Schmerz, der scheinbar einfach so auftritt, irgendwo im Körper, ohne offensichtliche Verletzung oder Krankheit. Das rätselhafte Leiden ist oft schwer zu diagnostizieren – und noch schwerer zu behandeln.

Ariane Burtscher ist Chefärztin des Zentrums für Schmerztherapie an der Schön Klinik im bayerischen Bad Aibling. Sie sagt: Die Wunderpille gegen chronischen Schmerz gibt es nicht. Denn jeder Patient ist anders – und damit auch sein Schmerz.

Wenn ein Patient chronische Schmerzen hat, ohne dass es eine organische Ursache gibt – ist das dann eingebildeter Schmerz?

Ariane Burtscher: Natürlich gibt es Ärzte, die einen Patienten zweimal sehen, und dann direkt Somatisierung diagnostizieren, Einbildung also. Aber damit macht man es sich zu einfach. Den Schmerz anderer Leute kann man ja erst einmal immer gut aushalten. Selbst eine neurologische Untersuchung gibt nur Anhaltspunkte – wir haben noch keine Methode, Schmerz wirklich zu messen.

Warum ist das so schwer?

Burtscher: Schmerz und seine Wahrnehmung sind sehr individuell – das hängt von unserer Schmerzerfahrung ab, aber auch von unserer Schmerzgeschichte. Wie ernst sind Schmerzen in meiner Kindheit genommen worden, wie war der Umgang damit? War das eher «Ein Indianer kennt keinen Schmerz» – Schmerz also als etwas, dass es gar nicht geben darf? Oder hat sich die Mutter zum Beispiel mit Migräne ständig zurückgezogen? Denn auch das macht ja etwas mit einem Kind.

Wie spricht man dann überhaupt über Schmerz, wenn eine objektive Messung so schwer ist?

Burtscher: Es gibt ja diese Skalen, mit Zahlen von 1 bis 10. Das ist aber natürlich alles andere als präzise, wenn man nichts dazu sagt – was heißt denn sonst 5 zum Beispiel? Ich lasse Patienten den Schmerz gerne zeichnen und erklären. Oft finde sich da starke Bilder – «Ameisen, die über mich krabbeln» etwa, oder das Gefühl, der Rücken würde «zersprengt». Gerade durch die Verknüpfung mit der emotionalen Wahrnehmung des Schmerzes kommt man ins Reden. Und manchmal ist das auch ein erster Hinweis für die Diagnose.

Und was ist meistens die Ursache des Schmerzes? Ist das psychisch, organisch, beides?

Burtscher: Je länger ich das mache, desto seltener maße ich mir da eine Antwort an. Wir sind es als Arzt gewohnt, eine Anamnese zu machen, dann die Diagnostik, dann die Therapie: Der Patient klagt über dies und jenes, also hat er das, deshalb kriegt er dieses Antibiotikum. Und die Patienten kennen das auch so – «Sagen Sie mir bitte, was ich habe», heißt es dann. Da ist ja auch Druck aus dem Umfeld dabei: «Warum gehst du denn so oft zur Klinik, was hast du denn?» Aber bei dem chronischen Schmerz ist es nun einmal etwas komplexer – das Leiden des Patienten entzieht sich oft der Objektivierbarkeit.

Was bedeutet das für ihre Arbeit konkret?

Burtscher: Das heißt erstmal, dass hier Ärzte und Spezialisten verschiedener Disziplinen zusammenarbeiten müssen – Chirurgen, Orthopäden, Physiotherapeuten, aber eben auch Internisten oder Psychologen. Denn unabhängig von den Ursachen hat Schmerz ja eine große psychische Komponente. Viele der Patienten haben lange Kranken- und Leidensgeschichten, die oft mit Ängsten und Depressionen verbunden sind. Die soziale Teilhabe leidet, manche sind arbeitsunfähig. Das gilt es bei der Therapie alles mit zu berücksichtigen.

Und wie funktioniert die Therapie dann konkret?

Burtscher: Wir setzen sehr viele unterschiedliche Therapieformen ein – von aktivierenden Therapien wie Schwimmen oder Wirbelsäulen-Gymnastik über psychotherapeutische Angebote wie Gruppen- oder Einzelgespräche bis zu traditionellen und alternativen Methoden, Akupunktur etwa. Da geht es vor allem darum, dass der Patient selbst merkt, was ihm gut tut – manche haben durch den Schmerz gar kein richtiges Gefühl für den eigenen Körper mehr, da muss man dann anfangen. Das ist alles vor allem Hilfe zur Selbsthilfe.

Also Selbsthilfe, nicht Heilung?

Burtscher: Genau. Ich sage Patienten bei der Begrüßung immer: «Sie werden hier nicht schmerzfrei herausgehen.» Aber die Patienten bekommen einen Rucksack an Strategien, mit dem Schmerz umzugehen. Chronischer Schmerz ist ein wenig wie eine zu sensible Alarmanlage, die im Dauerbetrieb läuft. Da geht es nicht nur darum, den Schmerz abzustellen – sondern auch darum, den Menschen beziehungsweise seine Alarmanlage etwas zu desensibilisieren.

Fotocredits: Christin Klose
(dpa/tmn)

(dpa)
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